Wurm Werkstatt – open-ended Konstruktions-Spielzeug by Katharina Bellinger

Warum gestalten Sie Konstruktions-Spielzeug für Kinder?

Ich empfinde es als eine große Herausforderung und gleichzeitig Bereicherung, für Kinder zu gestalten. Kinder sind ehrliche, kleine Persönlichkeiten und sie sagen einem sofort, was sie denken. Sie mit in den Designprozess zu integrieren ist essentiell. Es macht Spaß etwas zu schaffen, dass einen Mehrwert, vor allem für die nächste Generation hat. Wenn man Spielzeug für Kinder entwirft, wird man für kleine Erfinder tätig, denn im Spiel erschafft jedes Kind seine eigene Welt. Deswegen sollte die Gestaltung des Spielzeugs auch so gewählt werden, dass es freien Raum für die eigene Kreativität bietet. Außerdem lässt es mich selbst noch mal zum Kind werden.

Was inspirierte Sie zu Ihrem open-ended Konstruktions-Spielzeug Wurm Werkstatt?

Da ich nun seit fast 4 Jahren stolze Patentante bin, kam die Erkenntnis, ein Konstruktionsspielzeug zu designen durch meine kleine Nichte. Mir war es wichtig, sich von all dem Lizenz- und geschlechtsspezifischen Spielzeug auf dem Markt abzugrenzen und etwas zu schaffen, dass den Kindern wieder mehr die Freiheit gibt, Dinge aus ihrer Fantasie zu bauen. Anfangs hatte ich mir Vorgaben gesetzt, die ich erfüllen wollte und weitere Inspirationen kamen während der Arbeit mit Kindern im Designprozess. Da mir die Konstruktionsspielzeuge in ihren Dimensionen auf dem Markt oft zu klein und in ihrer Benutzung teils begrenzt schienen, war das Bauen in Lebensgröße, sowie die Leichtigkeit der Elemente und das taktil Stimulierende und Herausfordernde maßgeblich. Ich probierte unterschiedliche Varianten von Verbindern und verschiedene Gestaltungen der Bauplatten aus und testete jeden Entwurf mit Kindern aus einer Kita in Berlin im Alter von 4 bis 6 Jahren. Doch da auch Scheitern im Prozess dazugehört, dauerte es eine Weile, bis ein Konzept nach meinen und nach den Vorstellungen der Kinder funktionierte.

Inspiriert von Lochplatten aus dem Baumarkt entschied ich mich, die Elemente komplett mit einem Lochmuster zu versehen. Somit hatte man auch die meisten Verbindungsvarianten auf der Fläche und an den Seiten. Die Idee zu den wurmartigen Verbindern entstand, als ich mich an die Lockenwickler meiner Mutter erinnerte. Durch den Drahtkern konnte ich damals schon witzige Objekte formen. Mit dem Prinzip der Lockenwickler, entwickelte ich neue Verbinder und zeitgleich neue Grundelemente. Ich lasse mich gern von Dingen inspirieren, die uns sonst so selbstverständlich scheinen. Dann schaue ich, wie ich sie verändern und an die Anwendung anpassen kann. Bei der Namensgebung hatte ich ebenfalls Unterstützung von den Kindern. Als ich auf Nachfrage erzählt habe, dass ich die Spielelemente alleine in der Uni-Werkstatt produziere, waren die Kinder sich einig: »Die Verbinder sehen aus wie Würmer und alles wird in einer Werkstatt hergestellt, dann muss es Wurm Werkstatt heißen!« Den Namen fand ich sehr charmant und passend für ein Konstruktionsspielzeug.

Warum ist die Wurm Werkstatt  als open-ended Spielzeug besonders gut geeignet?

Mit Wurm Werkstatt erfahren Kinder die Beziehung zwischen Objekt und Raum und sie werden dazu angeregt, eigene Ideen zu entwickeln und Ausdruck für ihre fantastische innere Welt zu finden, gleichermaßen kognitiv wie motorisch. Kreativität, Feinmotorik, Geschick und räumliches Vorstellungsvermögen werden somit aktiv beeinflusst. Sie können aus gelöcherten Platten und wurmartigen-, wie kugelförmigen Verbindern abstrakte und konkrete Objekte bauen, indem sie die einzelnen Komponenten verbinden, stapeln und stecken. Außerdem fanden mehrere Testphasen während der Entwicklung mit Kindern statt. Es wurde iterativ gearbeitet, d.h. die Entwürfe wurden immer direkt mit den Kindern getestet und anschließend verbessert. Des Weiteren beugen die leichten, weichen Bauplatten und flexiblen Verbinder Verletzungsgefahr vor, sind gut zu reinigen und für den Innen- sowie Außenbereich einsetzbar oder auch als Badespielzeug geeignet. Ein weiteres Ziel mit Wurm Werkstatt ist es, sich mit einer geschlechtsneutralen Ästhetik auf dem von Geschlechtertrennung geprägten Spielzeugmarkt zu positionieren und sich gegen die Stereotypisierung von Spielzeug auszusprechen.

Gibt es weitere Produkte, die Sie speziell für Kinder gestalteten?

In einem Semesterprojekt sollten wir uns mit dem Thema Licht beschäftigen und unsere eigene Interpretationsweise dazu finden. Für mich war als Kind das kleine Licht in der Steckdose oder der offene Türschlitz, durch den das Flurlicht blitzte immer sehr wertvoll und half mir beim Einschlafen. Wie so vielen Kindern im jungen Alter. Aus dieser Erinnerung und aus zwei weiteren Ideen entstand ein Trio von Lichtspielzeugen, die alle auf ihre eigene Weise zur Interaktion mit Licht einladen. Little Lamp ist für Kinder ein netter Nachtbegleiter und leuchtet nur, solange man den Knopf im Standfuß gedrückt hält. Bei Magic Torch muss man den Ball in die Feuerschale treffen, um das Licht zu entzünden. Mit Hilfe von Sensoren und Licht wird, durch das Aneinanderschlagen der Steinhälften, Flint zum Leben erweckt. Das Projekt Flint hat den 3. Platz beim Osram Light Art Award belegt.

Noch einige persönliche Fragen zum Schluss: Womit haben Sie selbst als Kind gespielt? Gab es ein Lieblingsspielzeug darunter?

Sobald ich einen Stift halten konnte, war Malen meine große Leidenschaft. Als ich älter wurde, kam dann das Spielen mit dem Kaufladen und Lego dazu. Mit meinem Onkel allerdings, der eine Holzwerkstatt in seinem Keller besitzt, habe ich früh angefangen, meine eigenen Spielzeuge zu bauen, darunter auch diverse Möbelstücke für meine Stofftiere und Puppen. Außerdem war es toll, auf dem Land aufzuwachsen und die Natur vor der Haustür zu haben. Meistens war man bei Wind und Wetter draußen und hat sich aus dem, was die Umgebung so hergab, alles mögliche gebastelt.

 

Und was empfinden Sie als überflüssig?

Ein Blick in heutige Kinderzimmer gleicht häufig dem Eindruck eines Spielwarenfachgeschäfts. Es herrscht ein Überangebot an Spielzeug und die Spielumgebung scheint meist vorbestimmt! Ich empfinde es daher für ratsam, eher auf ausgewähltes Spielzeug zu setzen, das viele Spielmöglichkeiten bietet. Damit der heranwachsende Mensch den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist, ist eine freie Kreativität notwendig, um individuell Handeln und Denken zu können. Spielzeuge, die jede Assoziation ausschließen, werden diesen Wandel meiner Meinung nach nur schwer lostreten können. Ich empfinde Spielzeug für unangemessen, wenn es für Kinder gefährlich ist und sie krank macht und Spielzeug, das nicht nachhaltig und langlebig produziert ist. Umso wichtiger ist es mir, einen Hersteller zu finden, der diese Kriterien erfüllen kann.

Schauen Sie in eine Kristallkugel, in ihre Zukunft als Designer: Welches Produkt für Kinder möchten Sie als Nächstes entwerfen?

Da der digitale Wandel eine Reihe neuer Anforderungen an Erziehung und Bildung stellt, möchte ich mich mit dem Thema befassen und ein Produkt entwickeln, dass Kinder das notwendige Handwerkszeug für die Zukunft bietet. Ich finde es spannend, zwischen den Bereichen Bildung, der Maker-Bewegung und interaktiven Produkten zu arbeiten, um mehr von einem Forschungsprojekt zu einem Produkt zu gelangen. Mein Forschungsvorhaben ist es, diese 3 Bereiche in einem zeitgenössischen Spielzeug miteinander zu vereinen, welches Kindern die Möglichkeit bietet, sich neuartigen Technologien anzunähern und eine Grundlage für die Herausforderungen ihrer Zukunft schafft. Mein Ziel ist, auch weiterhin in meiner Arbeit Kinder in den Designprozess einzubinden und sie an der Gestaltung teilhaben zu lassen. Vor allem sollte man Kinder nicht als Konsumenten, sondern als Benutzer oder mehr noch als kleine Gestalter sehen, die die Dinge von Grund auf verstehen, eigenständig erforschen und bestimmen können. Kinder sollen spielerisch an neue Technologien herangeführt werden und ein Verständnis für die Themen im 21. Jahrhundert bekommen. Da das Erforschen und Manipulieren physischer Objekte eine Schlüsselkomponente für das Lernen von Kinder ist, soll die physische Komponente immer noch Teil der Arbeit und des Endproduktes sein. Es kann z.B. eine selbstgebaute Maschine oder ein Spielzeug-Kit zu einem bestimmten Thema sein. Ich habe dazu schon mehrere Ideen. Es ist extrem wichtig, Kinder von heute auf eine sich so schnell wandelnde Zukunft vorzubereiten. Die Frage lautet somit nicht ob, sondern wie dies verantwortungsvoll geschieht, indem sie gezielt unterstützt und zu eigenständigem kreativen Denken motiviert werden.

Kontaktieren Sie Katharina Bellinger via E-Mail:

moc.regnillebanirahtak@olleh

Foto Wurm Werkstatt Ole Sauer
Foto Portrait Lea Huch