Wie Kinder ihre Welt erkunden und sich erobern, ist stets individuell. Die Entwicklungspsychologie beschreibt jedoch verschiedene Spielformen, die von fast jedem Kind durchlaufen werden: Eine Übersicht und Tipps für und über das kindliche Spiel:
Ein Kind spielt. Vielleicht räumt es voller Freude Küchenschubladen aus, öffnet immer wieder den Klettverschluss am Kleid seiner liebsten Puppe oder sammelt in einer kleinen Schüssel Steinchen, nur um sie am Ende wieder quer über die Wiese zu streuen. Erwachsene belächeln diese Spiele oft, dabei bedeuten sie für das Kind harte Arbeit, durch die sie die Welt und ihre Umgebung kennenlernen. Wie Maria Montessori bereits zu sagen pflegte:
»Keiner kann ihm (dem Kind) seine Arbeit abnehmen, die darin besteht, den Menschen aufzubauen, den es aufbauen muss. […] Keiner kann für das Kind wachsen.«
Dieser Artikel gibt eine leicht verständliche Übersicht über die verschiedenen Spielformen bei Kindern, erläutert, warum diese für die kindliche Entwicklung so wichtig sind und ob und wie sie sich fördern lassen.
Warum ist Spielen für Kinder so wichtig
»Spielend lernen« – dieser Satz beschreibt einen der wichtigsten Lernwege im Kindesalter. Beim Spielen erproben Kinder ihre Fähigkeiten, entwickeln Kreativität, soziales Verständnis, Sprache und Problemlösungsstrategien. So lernen sie nicht nur, ihre Umwelt besser zu verstehen, sondern auch, sich selbst in ihr zu behaupten.
Die wichtigsten Spielformen im Überblick
Verschiedene Arten von Spielen fördern unterschiedliche Kompetenzen: Feinmotorik, soziale Interaktion, Konzentration oder kognitive Fähigkeiten. In der Pädagogik arbeiten Kindergärtner:innen, Psycholog:innen, Therapeut:innen, aber auch Bezugspersonen mit sieben verschiedenen Spielformen bei Kindern. Sie gewinnen damit eine bessere Übersicht, was das Kind gerade erlernt und wie es sich entwickelt. Dabei gibt es nicht die eine Phase, in der ein Kind sich nur einer Spielform widmet, vielmehr sind die Übergänge fließend und ganz individuell wie auch das Kind und sein Charakter. Hier findest du die sieben wichtigsten Spielformen im Überblick:
Sensomotorisches Spiel (0 – 2 Jahre)
Babys und Kleinkinder in einem Alter von 0 bis zwei Jahren spielen bevorzugt sensomotorisch. Das bedeutet, dass das Kind hier vor allem sensorische Erfahrungen sammelt und seine motorischen Fähigkeiten übt und fördert. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten, all das dient dazu, die Welt zu erkunden und sie zu verstehen. Wenn ein Baby also jeden Gegenstand in den Mund nehmen will, macht es das, um eben jenen Gegenstand zu erfassen und zu entdecken. In der Phase des sensomotorischen Spiels sind Rasseln, weiche Bälle oder Spieldecken mit den unterschiedlichsten Texturen, besonders beliebt und helfen dabei Babys und Kleinkindern, die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung sowie die Koordination von Sehen und Greifen zu verstehen.
Spielmaterial für das sensomotische Spiel:
• Rasseln, Greiflinge mit verschiedenen Strukturen
• Spieldecken mit unterschiedlichen Stoffen (weich, rau, glatt)
• Wasser zum Plantschen oder Fingerfarben zum Ertasten
Tipp: Achte als Eltern oder Bezugsperson oder darauf, dass alle Materialien absolut sicher und ungiftig sind, da Babys und Kleinkinder alles in den Mund nehmen.

Kind erforscht ein Spielzeug mit dem Mund, Foto: Moluk
Parallelspiel (2 – 3 Jahre)
Das sogenannte Parallelspiel findet sich besonders häufig bei Kleinkindern zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr und bedeutet, dass Kinder nebeneinander, aber eben nicht direkt miteinander spielen. Oft wissen kleine Kinder noch nicht, wie sie mit anderen interagieren können. Doch nur, weil sie parallel zueinander spielen, heißt es nicht, dass sie nicht lernen. Viel mehr beobachten sie ihr Gegenüber ganz genau und lernen, wie andere Kinder ihr Spielzeuge benutzen oder kleine Probleme lösen. Das Parallelspiel beeinflusst damit – auf eine fast unsichtbare Art und Weise – die eigenen Spiel- und Lernstrategien und gilt als wichtiger Schritt in der Entwicklung sozialer Fähigkeiten.
Beispiel für das Parallelspiel:
• Zwei Kinder bauen jeweils eigene Türme mit Bausteinen, schauen sich aber gegenseitig zu.
Tipp: Es ist ratsam, dass Kindergruppen ausreichend Platz und Spielmaterialien anzubieten, damit sie sich wohlfühlen und voneinander lernen können.

Kinder spielen nebeneinander, Foto: Trigonos
Explorationsspiel (3 – 6 Jahre)
Bei den sogenannten Explorationsspielen erkunden Kinder meist zwischen dem 3. bis 6. Geburtstag aktiv ihre Umgebung. Das kann das Spielen mit Sand, Wasser oder anderen Naturmaterialien sein. Dadurch lernen Kinder, wie natürliche Materialien funktionieren und auch, wie sie sich verändern oder manipulieren lassen. Ausflüge in die Natur, in der ein Kind frei seine Umgebung erkunden kann, aber auch Experimentierkästen oder erste kleinere kreative Aktivitäten wie das Malen, unterstützen das Kind in seinem Explorationsspiel. So lernt es beispielsweise, wie mithilfe weniger Striche und Kreise eine Sonne auf einem weißen Blatt Papier entsteht.
Beispiele für Explorationsspiele:
• Spielen mit Sand und Wasser
• Sammeln von Blättern, Steinen und Kastanien zum Basteln
• Malen und erste Bastelversuche mit Farben und Papier
Tipp: Spiel-Sets, die zum Experimentieren einladen, z. B. kleine Naturforscher-Kits, Malsets oder einfache Wissenschaftsexperimente begeistern jetzt viele Kinder.

Kinder spielen im Sand, Foto: iStock
Konstruktionsspiel (3 – 7 Jahre)
Nahtlos an das Explorationsspiel schließt dann das Konstruktionsspiel an. Etwa zwischen dem dritten und siebten Geburtstag verstärkt sich das Interesse von Kindern an Konstruktionsspielen: Bausteine werden gestapelt, zu fantasievollen Konstruktionen erbaut oder mit Stöcken wird im Wald ein Tipi gebaut. Mit dem Konstruktionsspiel fördert das Kind sein räumliches Vorstellungsvermögen und die Feinmotorik. Es lernt Pläne zu schmieden und umzusetzen und entwickelt kritisches Denken und Problemlösungsfähigkeiten.
Spielmaterial für Konstruktionsspiele:
• Bausteine, Bauklötze oder Steckbaukasten
• Naturmaterialien wie Stöcke oder Steine zum Bauen im Garten, auf der Wiese, im Wald
• Spielbausteine
Tipp: Um die Kreativität der Kinder zu fördern, empfehlen wir, ver schiedene Materialien anzubieten, die möglichst viel Raum zum freien Gestalten lassen.

Konstruktionsspiel, Foto: Trigonos
Als-ob-Spiel / Fantasiespiel (2 – 6 Jahre)
Die Als-ob-Spiele sind erste Fantasiespiele, mit denen Kinder zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr anfangen. Mithilfe von Rollenspielen versetzen sich Kinder in einen Arzt, Lehrer:in oder aber auch einfach in die Eltern hinein und stellen fiktive Szenerien nach. Dabei verwenden sie auch oft Requisiten, die sie entweder selbst herstellen oder aus der unmittelbaren Umgebung entnehmen. Selbst ein einfacher Stock wird dann zu einem Schwert und ein Karton zu einem Raumschiff.
Spielmaterial für das Als-ob-Spiel:
• Verkleidungskisten mit Kostümen (Ärztin, Pirat, Feuerwehrmann)
• Spielküchen, Kaufmannsläden oder Puppenhäuser
• Einfache Requisiten, z. B. ein Stock als Schwert oder Kartons als Raumfahrzeug
Tipp: Spiele gerne gemeinsam mit den Kindern, ermutige sie aktiv, sich Geschichten auszudenken, damit unterstützt du ihr Als-ob-Spiel.

Kinder spielen Arzt, Foto: @asina_katya
Rollenspiel (3 – 7 Jahre)
Im Rollenspiel schlüpfen Kinder ähnlich wie bei dem Als-Ob-Spiel in verschiedene Rollen und spielen Alltagssituationen oder Märchen nach. Diese Spiele können extrem realistisch werden und sind oft sehr strukturiert. Die Kinder spielen hier unbewusst mit ganz neuen Ausdrucksformen und Charakterzügen, die wichtig für ihre Sprachentwicklung und soziale Interaktionen sind. Kostüme oder andere kleine Requisiten, wie zum Beispiel eine Spielküche, können sie dabei unterstützen.
Beispiele für Rollenspiele:
• Nachspielen vom Familien-, Kita- oder Schulalltag
• Märchenspiele, z. B. Ritter, Prinzessin oder Zauberer
• Verwendung von Kostümen und Requisiten wie Puppenwagen oder Werkzeugsets
Tipp: Das Rollenspiel lässt sich gut fördern, indem Material bereitstellt wird, welches verschiedene Rollen und Geschichten erlaubt.

Kind spielt Verkaufen, Foto: stocubo
Regelspiel ( 4 – 12 Jahre)
Regelspiele sind Spiele, die nach spezifischen Regeln gespielt werden, wie Brett- oder Kartenspiele. Sie lehren Kinder Geduld, das Einhalten von Regeln und den Umgang mit Gewinnen und Verlieren. Oft werden sie als Unterhaltung angesehen, dabei sind sie enorm wichtig für die Entwicklung sozialer, kognitiver und emotionaler Fähigkeiten. Ein erstes Interesse in dieser Art von Spielen zeigen Kinder etwa ab dem 4. bis zum 12. Lebensjahr. Regelspiele fordern Kinder heraus, strategisch zu denken, Probleme zu lösen und vorausschauend zu planen.
Spielmaterial für Regelspiele:
• Brettspiele wie »Mensch ärgere dich nicht«, »Memory« oder »Uno«
• Ballspiele mit klaren Regeln, z. B. Fußball oder »Fangen«
• Kartenspiele für Kinder
Tipp: Es ist ratsam Spiele zu wählen, die dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes entsprechen. Als Bezugsperson ist es zudem hilfreich die Kinder beim Lernen der Regeln und dem Umgang mit Gewinnen und Verlieren begleiten.

Kinder spielen Schach, Foto: iStock
Tipps für Eltern: So unterstützt du dein Kind in seinen Spielformen
Du interessierst dich für das kindliche Spiel und möchtest es bei Kindern sinnvoll fördern? Dann könnten diese Tipps hilfreich für dich sein:
- Biete vielfältiges, offenes Spielzeug an, das verschiedene Arten von Spielen fördert, wie z. B. Spielmaterial zum Bauen, zum Verkleiden und Bewegen. Auch Kinder-Bücher und regelfreies Outdoor-Spielzeug ermutigen Kinder, ihre Fähigkeiten zu entwickeln: einschließlich Feinmotorik und Bewegungsfreude, Kreativität, Problemlösung und soziale Interaktion.
- Schaffe eine sichere Umgebung: Ein Spielbereich, der sicher und frei zugänglich ist, hilft Kindern dabei, ihre Umgebung frei zu erkunden und zu experimentieren, ohne ständig den Verboten von Erwachsenen ausgesetzt zu sein.
- Fördere das freie Spielen: Lass dein Kind selbst entscheiden, wie und womit es spielt. Das stärkt seine Selbstwahrnehmung, Selbständigkeit und Kreativität.
- Gemeinsam Spielen: Wenn Eltern gemeinsam mit ihrem Kind spielen, stärkt das die Bindung und gibt Kindern die Möglichkeit, Fairness, Geduld und Mitgefühl zu erfahren.
- Kindlichen Interessen folgen: Kinder haben unterschiedliche Interessen und Stärken, die sich leicht weiterentwickeln lassen. Entdeckt dein Kind eine neue Leidenschaft (Musik, Tiere, Technik) unterstützte das mit passenden Angeboten und Materialien.
- Altersgerechte Spielangebote wählen: Spiele und Spielzeug sollte so gewählt werden, dass das Kind weder über- noch unterfordert wird. Das unterstützt den Spaß, die Freude und positive Emotionen – notwendige Grundlage für ein gutes Lernen.
Zu den Autorinnen
Alexandra Brechlin ist Kulturjournalistin mit langjähriger Erfahrung – und Mutter einer kleinen Tochter. Seitdem widmet sie sich mit besonderem Interesse Themen rund ums Kind: nachhaltiges Spielzeug, pädagogisch wertvolle Bücher und den Familienalltag. Für afilii schreibt sie über alles, was Kinder im Alltag begleitet – mit einem klaren Blick für Qualität, Nachhaltigkeit und Sinn.

Katja Runge ist Gründerin von afilii. Mit ihrer langjährigen Erfahrung als Journalistin, Kommunikationsberaterin und Projektleiterin in der Design- und Kreativwirtschaft bringt sie ein feines Gespür für Sprache und Themen mit. Im afilii-Magazin engagiert sie sich als Themen-Finderin, Autorin oder im Lektorat – in enger Zusammenarbeit mit den Autor:innen – immer auf der Suche nach relevanten, gut erzählten Inhalten mit echtem Mehrwert für unsere Leser:innen.

Artikel aktualisiert im November 2025, zuerst veröffentlicht im Oktober 2024.




